1947: Neugründung des Bundesverbandes der Arbeiterwohlfahrt in Kassel - Presse - awo-nordhessen.de

1947: Neugründung des Bundesverbandes der Arbeiterwohlfahrt in Kassel

Engagierte Vertreter der Arbeiterwohlfahrt (AWO) trafen sich vom 3. bis 5. Mai 1947 im Kasseler Stadtteil Harleshausen*, um den AWO-Bundesverband, der während der NS-Zeit verboten war, neu zu gründen. Zu dieser Konferenz kamen 65 Delegierte aus der britischen und amerikanischen Besatzungszone sowie aus West-Berlin. Die Delegation aus der französischen Zone fehlte, da sie keine Ausreiseerlaubnis erhalten hatte. Auch Vertreter der Stadt Kassel, u.a. die Stadtverordnete Anna Zinke, waren anwesend. Anna Zinke begrüßte, dass es trotz großer Schwierigkeiten gelungen war, Delegierte aus den unterschiedlichen Besatzungszonen in Kassel zusammen zu bringen. Schon ein gutes Jahr zuvor, am 3. Januar 1946, initiierten Sozialdemokraten die Wiedergründung des Hauptausschusses der Arbeiterwohlfahrt in Hannover als Vorbereitung auf die Konferenz zur Neugründung. Die provisorische Geschäftsstelle der AWO unter der Leitung von Lotte Lemke war in Hannover, später wurde es Berlin.

Lotte Lemke berichtete auf der Konferenz zur Neugründung des AWO-Bundesverbandes in Kassel-Harleshausen über das seit Kriegsende bereits Geleistete. Die Hessischen Nachrichten vom 6. Mai 1947 beschrieben den Kern ihres Vortrags: „Die Leistungen, die die Arbeiter-Wohlfahrt in der kurzen Zeit ihres Wiederbestehens aufzuweisen habe, und das moralische Ansehen seien nur durch den Geist der Opferbereitschaft und der Solidarität ihrer Helfer und Mitarbeiter zu erklären, die selbst teilweise mit zerrissenem Schuhwerk und unzulänglich gekleidet unermüdlich Flüchtlingen und Heimkehrern gegenüber praktischen Sozialismus bewiesen und doch nicht zwischen der Größe der Not und der Unzulänglichkeit der Hilfsmittel zerrieben würden.“

Rechtsanwalt Dr. Erich Lewinski, der erste nach Kassel zurückgekehrte Emigrant aus den USA, überbrachte die Grüße von Marie Juchacz, die zu diesem Zeitpunkt in New York lebte. Die couragierte Frauenrechtlerin und Sozialreformerin hatte am 13. Dezember 1919 die AWO – angebunden an die SPD – in Berlin gegründet und war bis 1933 ihre erste Vorsitzende. Nach der Machtübernahme der Nazis emigrierte die Sozialdemokratin über Frankreich nach New York. Dort gründete sie 1945 die „Arbeiterwohlfahrt USA – Hilfe für die Opfer des Nationalsozialismus“, die nach Kriegsende Hilfspakete nach Deutschland schickte.

Die Auswahl von Kassel als Ort der bundesweiten Wiedergründung der AWO hängt damit zusammen, dass sich schon zu Kriegsende ehemalige und neue Mitglieder der AWO ans Werk machten, den Verband wieder auf die Beine zu stellen. Anfang 1946 gründeten 60 Frauen in der Gaststätte „Germania-Eck“ in der Wilhelmshöher Allee 118 die AWO in Kassel. Verantwortlich waren vor allem die Frauen, die sich schon vor dem Verbot durch die Nazis in der AWO engagiert hatten, darunter auch Anna Zinke. 

Mit der Wiedergründung des AWO-Bundesverbandes in Kassel-Harleshausen änderte sich auch das Selbstverständnis. Von nun an sollte die AWO eine selbständige und unabhängige Organisation und nicht wie zuvor eine der SPD angeschlossene Gliederung sein. Grund war die Auffassung, nur wer ohne Ansehen politischer oder konfessioneller Zugehörigkeit Hilfe gewährt, kann ein Ansprechpartner für Alle sein. 

„Doch die schon bei der Gründung 1919 verankerten Grundsätze „Hilfe zur Selbsthilfe“, „Solidarität“, „Freiheit und Selbstbestimmung“ kennzeichnen bis heute die Arbeit der AWO für Kinder, Jugendliche, Familien und alte Menschen“, sagt Michael Schmidt, seit 47 Jahren in der AWO engagiert und seit 1996 Geschäftsführer der AWO Nordhessen.

*Tagungsgebäude und Straße sind leider nicht überliefert.
Ansprechpartner für weitere Fragen: Jörg-M. Scharf, Leiter des Referats Verbandsentwicklung, 
Tel: 0561/5077107, joerg-m.scharf@awo-nordhessen.org

Weiterentwicklung der AWO in Kassel  – ein Streifzug

1940er bis Ende der 1960er Jahre

Im Zentrum: Hilfe für Kinder und Flüchtlinge 

In Kassel bot die AWO 1946 die erste Schulspeisung einer hessischen Großstadt an. Sie versorgte täglich 4.600 Schüler. Gleichzeitig gab es für Kinder Ferienlager im Sommer. Die ersten Kindererholungsheime wurden 1946/47 errichtet, z.B. das Kindererholungsheim in Harleshausen. Ziel war u.a. eine Gewichtszunahme durch nahrhaftes Essen. Das Heim beherbergte nicht nur Kinder aus der Region. Allein 2.000 Westberliner Kinder fanden hier bis 1951 Erholung. Daneben gab es Tageserholungsheime wie das am Rammelsberg in Kassel, welches später zur Gründungstätte eines der ersten Jugendwerke wurde.  
In den 1940er und 1950er Jahren widmete sich die AWO der Flüchtlingsbetreuung. Zentraler Anlaufpunkt war eine Villa an der Ecke Kölnische- und Viktoriastraße. Sie diente als Übernachtungsheim für durchreisende Mütter mit Kindern sowie Kriegsverletzte. Hier war zudem eine Nähstube untergebracht, in der für alle Hilfebedürftigen Kleidung beschafft wurde. Die Menschen in Flüchtlingszügen wurden mit Essen und Getränken empfangen. Auch die Pflege alter Menschen, die durch den Krieg keine familiäre Unterstützung hatten, wurde zunehmend zum Problem. 1957 eröffnete die AWO mit dem Käthe-Richter-Haus in Kassel das erste Altenpflegeheim in Nordhessen. Einen fahrbaren Mittagstisch – später „Essen auf Rädern“ genannt – gab es ab 1965.

Auch Gastarbeiter benötigten Unterstützung
Als Deutschland in den 1960er Jahren Gastarbeiter ins Land holte, war auch hier Unterstützung nötig. In einem Gebäude in der Werner-Hilpert-Straße half die AWO ab 1966 u.a. bei arbeitsrechtlichen Problemen sowie bei Behördengängen und bot Treffpunkte und Sprachkurse für die überwiegend türkischen Gastarbeiter an. Schon im ersten Jahr wurden rund 2.000 Gastarbeiter betreut. Hinzu kam die Familienhilfe, welche bei Arbeit, Wohnen und der schulischen Betreuung der Kinder unterstützte sowie arbeitslose Jugendliche mit Migrationshintergrund betreute.

1969 bis Ende der 1990er Jahre – die Innovationsphase
Durch die sich ändernden gesellschaftlichen Problemlagen entstanden neue Herausforderungen auch für einen Wohlfahrtsverband. Die AWO passte sich mit ihren Einrichtungen und Diensten diesen Problemlagen nicht nur an, sondern initiierte eigenständig innovative Projekte und Angebote für Kinder, Jugendliche und Erwachsene.

Neue Angebote für Jugendliche
Mit der 1968 beginnenden innenpolitischen Reform der Bundesrepublik wurde auch die von der AWO schon lange geforderte Reform der Jugendhilfe wieder intensiver in Angriff genommen.
Ein zentrales Beispiel der Innovationskraft ist der Modellversuch Schulsozialarbeit an der Gesamtschule in Kassel-Waldau. Gemeinsam mit Schule und Jugendarbeit entstanden Sozialisationsangebote für bessere Lernprozesse. Darüber hinaus entwickelten sich Hausaufgabenhilfen für Kinder mit Migrationshintergrund. 
Unter anderem erfolgte 1972 der Aufbau des Jugendwerks der AWO – zuerst im Kreisverband Kassel-Stadt. Erste Räumlichkeiten befanden sich im Dr.-Aschrott-Wohlfahrtshaus am Entenanger. In den Kellerräumen wurde ein Jugendclub eingerichtet. Es entstand eine monatliche Jugend- und Schülerzeitung namens SPEKTRUM. 1975 wurde auf dem Rammelsberg in Kassel das Bezirksjugendwerk gegründet. Schon früh präsentierte sich das Jugendwerk mit einer Vielzahl von Projekten und Veranstaltungen. Neben freizeitpädagogischen Angeboten wie z.B. Konzerten auf der Hessenkampfbahn, fand auch bildungspolitische Arbeit wie Fahrten nach Polen und in ehemalige Konzentrationslager statt. 

Beratung bei Familienplanung und Schwangerschaft 
Am Königstor 16 eröffnete die AWO 1975 eine Beratungsstelle. Der dort angebotene sozialmedizinische Dienst für Eheberatung, Familienplanung und Schwangerschaft stand Frauen und Familien in Not- und Konfliktsituationen bei. Ziel war es, nicht allein der vorgeschriebenen Pflichtberatung Genüge zu tun, sondern die Frauen zu unterstützen, damit sie eine für sie richtige Entscheidung treffen konnten.

Jugendliche in Lohn und Brot bringen
Im Jahr 1978 war jeder zehnte Arbeitslose in Nordhessen ein Jugendlicher unter 25 Jahren.
Die AWO Beratungsstelle für arbeitslose Jugendliche in der Großen Rosenstraße in Kassel half den Betroffenen mit aktiver Bewerbungshilfe und Tipps. Schnell entwickelten sich Arbeitsgruppen wie das Fotolabor oder die Elektronikgruppe, in der die Jugendlichen ihre Interessen und Fähigkeiten entdecken oder weiterentwickeln konnten. Schon ein Jahr nach der Eröffnung der Beratungsstelle hatte jeder vierte arbeitslose Jugendliche in Kassel davon profitiert. 

Pflege und Betreuung alter Menschen immer wichtiger
Auf die stetige Zunahme der Zahl alter, pflegebedürftiger Menschen, reagierte die AWO mit zahlreichen Innovationen in der Altenhilfe. So wurde beispielsweise die Mitsprache der Bewohner durch die Gründung von Heimbeiräten verbessert. Der erste Heimbeirat in Nordhessen wurde 1973 im Pflegeheim Kassel-Sängelsrain gewählt. Neben Altenzentren sollte auch das Wohnen im Alter durch seniorengerechte Angebote erleichtert werden. Hierzu baute man 1976 in der Querallee eine Wohnanlage für Senioren, in der 12 Appartements für Ehepaare sowie 21 Ein-Personen Appartements untergebracht waren. Qualifiziertes Betreuungspersonal in der angeschlossenen Tagestätte mit Altenclub kümmerte sich um die Bewohner. Überdies gehörte die AWO zu den ersten Trägern der Altenpflege, die spezielle Konzepte und Angebote für Menschen mit Demenz entwickelten. 

Gemeinschaftszentrum Kassel für Jung und Alt
1976 eröffnete ein Gemeinschaftszentrum in der Wilhelmshöher Allee 32a (heute: Geschäftsstelle der AWO Nordhessen) mit unterschiedlichen sozialen Angeboten und Dienstleistungen: einer Mütterschule, Tagesmütter und eine Beratungsstelle für Familienplanung und –erziehung. Senioren fanden hier einen ambulanten Hauswirtschafts- und Betreuungsdienst. Auch „Essen auf Rädern“ war im Gemeinschaftshaus angesiedelt. 

In Altenpflege-Ausbildung investieren
Da der Bedarf an ambulanter und stationärer Betreuung alter Menschen stetig zunahm, sah die AWO Handlungsbedarf, junge Menschen kompetent auszubilden. So gründete sie 1980 eine Altenpflegeschule in Kassel. Nach zehn Jahren erfolgreicher Ausbildungsarbeit errichtete die AWO weitere Altenpflegeschulen und ein Institut für Fort- und Weiterbildung in Kassel, die alle bis heute existieren und einen bedeutenden Beitrag zur Bildungsinfrastruktur für die Pflege in der Region leisten. Da auch ehrenamtliche Unterstützung etwa zum Vorlesen und Spazierengehen von unschätzbarem Wert für alte Menschen ist, hat die AWO 1998 Vermittlungsagenturen für Freiwillige eingerichtet. Heute bieten fast alle Pflegeheime ein eigenständiges „AWO-Büro Aktiv“.

2000 bis heute

Expansion von ambulanten und stationären Angeboten

2003 erfolgte die Gründung der AWO Nordhessen gGmbH. Zum 01. Januar 2004 wurden nahezu alle Dienste und Einrichtungen vom Bezirksverband Hessen-Nord übergeben. Die Geschäftsstelle zog von der Lilienthalstraße 3 in die Wilhelmshöher Allee 32a. Die angestrebte Expansion nahm Fahrt auf. 
Der Jugendtreff „Cafe libre“ als Teil des Jugendkulturprojekts Kesselschmiede, einer Kooperation verschiedener Träger der offenen Jugendarbeit, konnte 2011 in den alten Hallen der Firma Henschel in Kassel weiter ausgebaut werden. Bis zum heutigen Tag besuchen jedes Jahr mehr als 30.000 Kinder und Jugendliche diese Einrichtung. Im gleichen Jahr startete das präventive Förderprogramm „Opstapje“ (niederländisch: Schritt für Schritt) für bildungsferne Familien und Familien mit Migrationshintergrund. Ein weiteres ambulantes Angebot ist „Starker Start“. Hier werden junge Eltern begleitet, denen es an Erfahrung in der Versorgung von Kleinkindern und an positiven Vorbildern in ihrer eigenen Geschichte mangelt. 2017 eröffnete die AWO ein Quartiersprojekt in Wehlheiden, mit dem Ziel, insbesondere älteren Menschen im Stadtteil praktische Unterstützung im Sinne von Nachbarschaftshilfe zu vermitteln und Orte der Begegnung zu schaffen. Ein neuer Baustein des Hilfenetzwerkes der AWO ist die im Jahr 2006 ins Leben gerufene AWO-Stiftung Lichtblicke. Sie unterstützt Kinder aus benachteiligten Familien mit pädagogisch angeleiteten Schreibwerkstätten an Grundschulen mit hohem Migrationsanteil und bietet frühe Hilfen für junge Familien sowie kostenlose Ferienangebote. 


Die AWO bietet 2019 in Kassel Übersicht als PDF


Kassel, 30. April 2019

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